Das Musik-Collegium Schaffhausen will junge Hörerinnen und Hörer für die klassische Musik begeistern. Zwei Profimusiker brachten mit einigen Schülern «Die Winterreise» von Franz Schubert auf die Stadttheaterbühne. Dem rund 240-köpfigen Kinderpublikum gefiel es.

Ein alter Mann, ganz in Weiss gekleidet, läuft barfuss davon. Dabei spielt er auf der Leier einen Bordun, ­einen lang anhaltenden Ton. Melancholischer Gesang begleitet ihn, ein einsamer Wanderer, dick eingepackt in einen langen Wintermantel, folgt ihm. Niedergeschlagenheit steht ihm ins Gesicht geschrieben. Wohin sie gehen, weiss niemand so recht: Ein Kindermärchen endet anders, in aller Regel mit einem Happy End. Das trifft auf Schuberts Liederzyklus mit dem Titel «Die Winterreise» nicht zu. Und doch, gebannt und mucksmäuschenstill sitzen rund 240 Mädchen und Knaben im Schaffhauser Stadttheater. Erst als der letzte Ton verklungen ist, klatschen die Kinder kräftig.

Rund eine Stunde ist es nun her, da der Herrenacker an einen belebten Pausenplatz und das Foyer im Stadttheater an eine Turnhalle erinnerten: Gewusel und laute Kinderstimmen. Dass hier in Kürze ein klassisches Konzert beginnen würde, war kaum vorstellbar. An einem solchen Konzert ist das Publikum in der Regel einiges älter und der Lautstärkepegel einiges niedriger. Kann das gut gehen, eine Stunde Liedgesang aus der ­Romantik für junge Ohren, die vor allem an ­aktuelle, englischsprachige Musik gewöhnt sind? Ja, es kann! Davon sind die Organisatoren des Musik-Collegiums Schaffhausen überzeugt. Dessen Präsident, Stadtrat Raphaël Rohner, sagt: «Wir wollen mit dem Konzert bei den Kindern die Freude an der klassischen Musik wecken, die auch heute noch einen hohen Stellenwert hat.»


Die Kinder miteinbeziehen

Diese Freude erwacht aber kaum wegen eines gewöhnlichen Konzerts, das auf so manchen einen etwas starren und biederen Eindruck macht. Das weiss auch Annedore Neufeld, Künstlerische Leiterin des Musik-Collegiums. «Das Stück wurde speziell für Kinder angepasst», erläutert sie. Zudem ­haben die Lehrpersonen mit ihren Klassen, die insgesamt aus vier Gemeinden kommen, das Stück auch vorbereitet: Die Kinder ­wissen ungefähr, was sie erwartet. Brigitte Steybe, Lehrerin aus Uhwiesen, erzählt von der Vorbereitung: «Als die Kinder zum ersten Mal klassischen Gesang hörten, haben sie nur gelacht.» Es besteht offensichtlich eine Distanz zu dieser Musik, die im 19. Jahrhundert geschrieben wurde. Die Schülerinnen und Schüler aus Uhwiesen haben sich dann aber intensiv mit Schuberts Werk auseinandergesetzt und in den vergangenen Wochen mehrmals einen Teil der Choreografie geprobt. Mit der Zeit fanden die Kinder immer mehr Gefallen an den Klängen, sagt die Lehrerin.


Ein Rabe als Pianist

Zurück im Stadttheater: Nach dem Tohuwabohu im Foyer sitzen die Kinder still. Lange ist das aber nicht so, denn das junge Publikum wird von den beiden Musikern auf der Bühne miteinbezogen. So motiviert Bariton Matthias Horn, der den einsamen und singenden Wanderer spielt, die Kinder etwa dazu, eine Wintermusik zu machen: Krähengekreische, Pfeifen des Windes und Bibbern vor Kälte lauteten die Instrumente der Kakofonie, aus der heraus dann wieder die klare Melodie des schubertschen «Gute Nacht» erklang. Immer wieder wurden die Primarschüler mit rhythmischen Klatscheinlagen Teil des Konzerts. Beim «Lindenbaum» sangen sie sogar mit Matthias Horn mit. Und die Mädchen und Buben aus Uhwiesen kamen bei «Frühlingstraum» und «Täuschung» zu ­ihrem besonderen Auftritt auf der Bühne.

Die Kinder waren derweil nicht nur beim Musizieren mit den zwei Profimusikern eingebunden, sondern der mehr oder weniger lose Liederzyklus wurde als Geschichte erzählt. Darin führte Pianist Christoph Ullrich als Rabe von Stück zu Stück. Er war es, der mit seinem Gurren und seiner witzigen Art am meisten Sympathien bei den jungen ­Musikhörerinnen und -hörern erntete. So versuchte der Rabe, den einsamen Wanderer, der von seiner Geliebten enttäuscht worden war, dazu zu bewegen, zu seiner Herzdame in die Stadt zu reisen. Immer wieder scheiterte der Rabe, worüber er sich selbst köstlich aufregte: Das sorgte bei den Kindern für einige Lacher. Zum Schluss schaffte er es zwar, den Wanderer zum Fortgehen zu bewegen – ob er in die Stadt zurückkehrte? Eines ist sicher, viele Kinder erzählten nach dem Konzert, dass sie gerne wieder für ein anderes solches Konzert ins Stadttheater zurückkehren würden – mit oder ohne Happy End.