In der Ausstellung «Biografische Versprecher» bezieht Künstler Yves Netzhammer das Museum zu Allerheiligen in sein Schaffen ein.

von Isabel Heusser

Es ist dunkel im Sonderausstellungsraum, und beinahe stolpert ­einer der Journalisten während des Medienrundgangs über einen Staubsauger. Yves Netzhammer kann sich ein Lächeln nicht verkneifen. Nein, der gehört nicht zum Konzept. Könnte aber sein. Für die Ausstellung «Biografische Versprecher» im Museum zu Allerheiligen, die heute eröffnet wird, hat der Medien- und Installationskünstler Netzhammer 18 sogenannte Interventionen geschaffen. Sie nehmen, im ganzen Haus verteilt, Bezug auf das Museum. Manchmal muss man genau hinschauen, um sie zu entdecken: In der Naturabteilung beispielsweise ist ein Bügeleisen platziert, das tektonische Platten glättet. In einer ehemaligen Nonnenzelle ist ein Rock in unschuldigem Weiss ausgestellt, den Netzhammers Frau eigens für die Installation genäht hat. Und in der Kunstsammlung hat Netzhammer vor Félix Vallottons «Femme nue couchée sur un drap blanc» – einem der bedeutendsten Werke des Museums – eine Kamera installiert. Auf dem Display ist eine Computeranimation zu sehen: eine Narrenfigur, die mit der nackten Frau von Vallottons Meisterwerk nicht ganz jugendfreien Schabernack treibt.


Das Gewürz, das die Schweizer essen

Dieser aufs Minimum reduzierte, gesichtslose spätmittelalterliche Narr, Till Eulenspiegel, ist Yves Netzhammers Alter Ego. Auf dem Ausstellungsplakat – gar dort sind «Versprecher» eingestreut – starrt er auf ein Handy, in der Hand den Schaffhauser Bock als Spielzeug. Die Farben seines gelb-grün gemusterten Kostüms und die rote Mütze sind nicht zufällig gewählt: Es sind die Aromatfarben. Eine Reminiszenz an die Fabrik in Thayngen, wo «das Gewürz, das die Schweizer essen», hergestellt wird, wie Kuratorin Jennifer Burkard einer staunenden Deutschen in der Runde erklärt. Der Aromatdose huldigt Netzhammer auch in seinen Interventionen: Er hat eine Dose zu einer Überwachungskamera umfunktioniert.

er gelb-grüne Narr ist im ganzen Museum anzutreffen, mal humorvoll, mal ernst. «Es ist eine anspruchsvolle und herausfordernde Ausstellung», so Kulturreferent Raphaël Rohner. «Dieser Narr sucht die Ernsthaftigkeit.» Und nicht nur er. Immer mal wieder bleibt dem Besucher das Lachen im Halse stecken. Etwa bei einem skelettartigen Mobile, das an einem Galgen hängt, krachend in sich zusammenfällt und sich dann wieder aufrichtet. Er habe früher immer wieder die Zeichnungen des Naturforschers Alexander von Humboldt studiert. «Mich interessierte, wie man tote Materie zum Leben erwecken kann», erklärt Netzhammer.


Einen Tag, um alles zu entdecken

1970 in Schaffhausen geboren und aufgewachsen, ist Netzhammer längst ein international anerkannter Künstler. Letztes Jahr stellte er in der Fosun Foundation in Schanghai aus, 2015 an der Biennale in Kiew, 2014 beteiligte er sich an einer Gruppenausstellung im Museum Rietberg, 2007 vertrat er die Schweiz an der Biennale in Venedig. Aktuell zeigt die Schaffhauser Galerie Mera eine Fotoserie, die Netzhammer und der ebenfalls in Schaffhausen aufgewachsene Multimediakünstler Olaf Breu­ning zu Beginn ihrer Karriere schufen.

«Ich habe schon einen Moment gebraucht, um mich locker zu machen.»

Yves Netzhammer, Künstler

Dass Netzhammer nun im Museum zu Allerheiligen ausstellt, sei eine grosse Ehre und nicht selbstverständlich, sagte Direktorin Katharina Epprecht gestern. Er könne sich aussuchen, wo er ausstellen wolle. «Hier gewinnt nicht der Künstler etwas für sein Curriculum, sondern das Museum.» Dass Netzhammer gleich das ganze Gebäude bespielt, dessen Ausstellungsräume immerhin 6000 Quadratmeter umfassen, freut sie besonders. «Museen haben manchmal einen verstaubten oder langweiligen Anstrich. Netzhammer belebt die Räume, und es braucht wohl einen ganzen Tag, um alle Interventionen zu entdecken», so Epprecht.

Sich hier austoben zu dürfen, habe ihm viel Spass gemacht, sagt Netzhammer, der vor knapp 20 Jahren zum ersten Mal im «Allerheiligen» ausstellte. Im Gegensatz zu den Ausstellungsgegenständen müsse er nicht der Realität folgen. Vielmehr wolle er ein Gefühl der Brüche erzeugen – «sodass man manchmal denkt: Muss das jetzt sein?» Was er darstellt, müsse nicht erklärend sein. «Im besten Fall ist es poetisch», sagt er und lacht.


Eine politische Note

Es lohnt sich, die Ausstellung bereits in den nächsten zwei Wochen zu besuchen. Auf der zweiten Etage der ehemaligen Hallen für Neue Kunst in der Kammgarn West hat Yves Netzhammer eine weitere Installation geschaffen, die nur bis zum 14. Oktober zu sehen ist. Dort, wo einst Joseph Beuys’ Werk «Das Kapital Raum 1970–1977» stand (mittlerweile ist es in Berlin ausgestellt), hat Netzhammer drei Ballwurfmaschinen aufgestellt, die selbständig Tennisbälle an die mit reduzierten Figuren bemalte Wand knallen und, im besten Fall, wieder im Trichter der Maschinen landen. Eher aber auf dem Boden.

Zu sehen, wie die Bälle nach und nach den Boden bedecken und herumkullern, bereitet Netzhammer sichtlich Vergnügen. Die Installation nimmt Bezug auf Netzhammers Biografie: Sein Vater war Tennisspieler und -lehrer. Die Hallen sind dem Künstler vertraut, hier hat er als junger Mann gearbeitet. Ausgerechnet in diesem Raum etwas Neues zu schaffen, sei eine besondere Aufgabe gewesen. «Ich habe schon einen Moment gebraucht, um mich locker zu machen», sagt Netzhammer. «Aber schliesslich sind das hier auch nur Mauern, sie sind nicht heilig, und hier war früher eine Fabrik drin, in der gearbeitet wurde.»Dass das Museum den Kammgarn-Westflügel in die neue Ausstellung mit einbezieht, ist kein Zufall: Der Stadtrat will die zweite Etage an die Sturzenegger Stiftung verkaufen; diese wiederum plant, die Räume dem Museum zur Verfügung zu stellen. Und so hat die Ausstellung auch eine politische Note.