Nach der Teilzerstörung des Museums zu Allerheiligen bei der irrtümlichen Bombardierung Schaffhausens am 1. April 1944 wurde das Museum mit zahlreichen Kulturspenden bedacht.

von Mark Liebenberg

«Mich schauert vor dem Gedanken», sagte die Direktorin des Museums zu Allerheiligen gestern. «Ich versuche, mich in die Haut meines Vorgängers hineinzuversetzen. Mein Museum wird vom Bombenhagel getroffen und steht in Flammen!». An jenem tragischen Samstagmorgen – dem 1. April 1944, als zwei Staffeln US-Liberator-Bomber die Stadt angreifen und innert vierzig Sekunden mit fast 400 Brand- und Sprengbomben übersäen – sei nachweislich die gesamte Belegschaft des erst sechs Jahre zuvor eröffneten Museums im Haus gewesen. Während eine Sprengbombe wenige Meter weiter, bei der Beckenstube, neun Menschen in den Tod reisst, kommt im Museum glücklicherweise niemand zu schaden.

Dafür wird praktisch die Hälfte des ­Museumsbaus schwer in Mitleidenschaft gezogen, wie grossformatige Bilder, die in den Stunden und Tagen nach dem Angriff gemacht wurden, in der Ausstellung «Kunst aus Trümmern» zeigen. Besonders fatal trifft es den Westflügel, wo in den historischen Zimmern die Kunstabteilung mit zahlreichen alten Meistern untergebracht war. Dieser Trakt brennt lichterloh und das Dach stürzt herab, begräbt etwa neun Gemälde des Schaffhauser Malers der Spätrenaissance, Tobias Stimmer (1539–1584), unter sich. Und auch das berühmte Bildnis Martin Luthers von Lucas Cranach d.Ä.

Dieses angesengte, zur Hälfte unkenntlich gewordene Bild wird in «Kunst aus Trümmern» ebenso gezeigt, wie weitere Zeugen der Zerstörung: Zimmerbalken, verkohlte Karteikarten, zerbrochene Keramik und weitere Artefakte – nebst einigen Bomben selbst. Ein ausgestopfter Braunbär erinnert daran, dass an jenem Morgen auch das Naturhistorische Museum auf dem Herrenacker schwer getroffen wurde. Pfadfinder und Bürger retteten einzelne Artefakte aus dem Gebäude.

66 Kunstwerke, vor allem Gemälde, gehen an diesem Tag in den Trümmern unter. Schaffhausen ist getroffen – und die ganze Schweiz zeigt sich betroffen. Schon wenige Tage nach der Katastrophe fragt sich die ganze Schweiz, wie man der nicht nur physisch, sondern auch moralisch verwundeten Stadt sinnvoll helfen könnte. Kunstsinnige Zürcher haben eine spontane Idee und rufen zu einer «Kulturspende» auf. In den folgenden Monaten und Jahren beteiligen sich Schweizer Gemeinden, Kantone, Städte, Unternehmen und Privatpersonen an einer beispiellosen Spendenaktion zugunsten des Museums. Sie bescherte dem Haus nicht nur zahlreiche Werke bedeutender Künstler, sondern auch Geldspenden für Neuankäufe und die Restauration beschädigter Kunstwerke.

Die Sonderausstellung des Museums zu Allerheiligen «Kunst aus Trümmern» (ab Freitag bis Ende Oktober) arbeitet diese Geschichte umfassend auf. Stadtrat Raphael Rohner sagte gestern: «Ich bin sehr glücklich über diese Ausstellung, die einen ­weiteren Aspekt dieses für unsere Stadt tragischen Ereignisses beleuchtet. Eines Ereignisses, das die Menschen auch heute noch beschäftigt, wie das Gedenken zum 75. Jahrestag der Bombardierung letzten Monat eindrücklich gezeigt hat.»

Die rund 80 Kunstwerke aus dieser Kulturspende sind das Herzstück der Aus­stellung. Darunter sind Meisterwerke von ­Albert Anker und Ferdinand Hodler, aber auch bemerkenswerte Exponate von Künstlern mit Schaffhauser Bezug. Aber auch historische Möbel, Zinnwaren, Skulpturen und weitere Artefakte wurden gespendet. Daneben ergänzen Filmwochenschauen, Fotos, Zeitzeugenberichte und weitere Elemente die Schau.

«Wie ein Phönix aus der Asche»

Der Fokus liegt aber nicht so sehr auf der Bombardierung und die Zerstörung selbst, sondern mehr auf den Folgen, sagte Kunstkurator Andreas Rüfenacht gestern vor den Medien. «Wir wollen sichtbar machen, wie aus dem Schreckensereignis sich das Museum wie ein Phönix aus der Asche erhob.» Denn «Kunst aus Trümmern» zeigt mit den Exponaten fast ausschliesslich aus eigenen Beständen auch, wie mit der Kulturspende der Grundstein gelegt wurde für den Aufstieg in den Nachkriegsjahren. «Dies ist ­damit auch erstmals eine lokalhistorische Ausstellung über das Museum selber», ergänzte der Geschichtskurator Daniel Grütter.

«Die Vielfalt der gespendeten Kunstwerke folgt keiner sammlungsstrategischen Logik – das ist gerade ihr besonderer Charakter»

Andreas Rüfenacht, Kurator für Kunst

Mit der späteren Wiedereröffnung der naturhistorischen Abteilung wurde das städtische Museum schliesslich zum Vierspartenhaus, das es noch heute ist. Und mehr als das: «Aus dem Heimatmuseum wurde ein Haus mit nationaler Ausstrahlung», so Rüfenacht – auch mithilfe der Entschädigungszahlungen aus den USA.

Nach dem Wiederaufbau der beschädigten Gebäudeteile und der Wiedereröffnung im Mai 1946 dauerte es nicht lange, bis Schaffhausen schweizweit beachtete Kunstausstellungen realisierte – so etwa zu Rembrandt 1949 oder Alten Meistern 1951 mit Leihgaben aus aller Welt. «Von solchen Ausstellungen können wir heute nur träumen», sagte Rüfenacht. Die Bandbreite der ausgestellten Werke ist auch qualitativ breit, räumt der Kurator für Kunst ein. «Die gespendeten Kunstwerke an sich bilden eine Vielfalt ab, die keiner sammlungsstrategischen Logik folgt», erklärt der Kurator für Kunst. «Aber das macht gerade den besonderen Charakter des Konvoluts aus.»

Vom Dunkel ins Licht – das ist auch in der dramatischen Szenografie umgesetzt. Die für immer verlorenen Kunstschätze werden ebenso gewürdigt wie der zeitgeschichtliche Kontext in der angegliederten Dauerausstellung «Schaffhausen im Zweiten Weltkrieg» miteinbezogen wird.