Dass der Bundesrat diese Woche für die Kulturbranche drastische Massnahmen beschlossen hat, kritisieren Politiker von links bis rechts. Kulturbetriebe monieren: Die Landesregierung habe die Schutzkonzepte ungeachtet gelassen. Nun sollen die Kantone vorwärts machen, auch der Kanton Schaffhausen.
von Andrea Tedeschi
Kaum hatte der Bundesrat am Mittwoch verkündet, dass in der Schweiz über Nacht nur noch maximal 50 Personen zu Konzerten, Opern, Theatern oder in den Kinosaal zugelassen sind, teilte ein Kulturbetrieb nach dem anderen mit: Wir machen ab sofort und vorübergehend zu. Darunter das Stadttheater Schaffhausen, die Zürcher Tonhalle oder gar das hochsubventionierte Zürcher Opernhaus. «St. Gallen spielt weiter, viele andere Betriebe haben grössere Konzerte bis auf Weiteres abgesagt», sagt Toni J. Krein, Verbandspräsident der Schweizerischen Berufsorchester. «Die Betriebe versuchen, ihre Musiker über kleinere Veranstaltungen zu beschäftigen.»
Dass der Bundesrat die Gesundheit hoch gewichtet hat, kam bei den Parlamentariern gut an. «Diese Massnahmen sind angemessen», sagte die CVP-Nationalrätin und Präsidentin der Gesundheitskommission Ruth Humbel gegenüber dem Radio SRF. «Es sind zumutbare Einschränkungen, um einen Lockdown zu verhindern.» Sie müssen nun eingehalten und durchgesetzt werden. Auch Lukas Engelberger, Präsident der Gesundheitsdirektorenkonferenz, fand, dass die Schweiz nun auf einem guten Wege sei. Die SP dagegen kritisierte aber, dass der Bundesrat einseitig gewichte. «Die gesundheitlichen Massnahmen unterstützen wir voll und ganz, aber es braucht zwingend auch wirtschaftliche Abfederungsmassnahmen, und hier hat der Bundesrat nichts geliefert», sagte Co-Präsidentin Mathea Meyer.
Schutzkonzepte nicht berücksichtigt
Tatsächlich ist für Toni J. Krein offen, wie es für die Schweizer Konzerthäuser nun weitergehen soll. «Ein grosses Problem ist, dass die Massnahmen zeitlich unbeschränkt sind, deshalb haben wir keine Planungssicherheit.» Dabei hatten nach der ersten Welle die Konzertsäle, die Theater oder die Kinos Schutzkonzepte vorlegen müssen, um überhaupt öffnen zu können. «Ich frage mich», sagt Krein, «wie die einzelnen Aspekte von Schutzkonzepten bei diesem Entscheid des Bundesrates berücksichtigt worden sind.»
Zusammen mit anderen Verbänden hätten sie Schutzkonzepte für die Branche ausgearbeitet, sie immer wieder angepasst. Diese seien von den Betrieben streng eingehalten worden. «Im Konzert- und Theaterbereich sind uns keine Ansteckungen bekannt.» Während des Konzerts sässen die Besucher und redeten nicht, das Ansteckungsrisiko sei daher gering, sagt Krein. Der Bundesrat habe mit der Personenbeschränkung faktisch ein Aufführungsverbot ausgesprochen. «Stossend und störend ist, dass wir vor dem Bundesratsentscheid nicht angehört worden sind. Die Beschränkung auf 50 Personen scheint zementiert.»
In der Kinobranche tönt es ähnlich. «Wir haben zwar bei der Politik interveniert, angehört wurden wir vor dem Entscheid von Mittwoch jedoch nicht», sagt René Gerber, Generalsekretär des Dachverbandes der Schweizer Kino- und Filmverleihunternehmen. «Der Beschluss des Bundesrates gibt ein falsches Signal. Durch die angeordnete Reduktion der Sitzplätze suggeriert er, dass das Kino ein gefährlicher Ort sei.» Er befürchtet, dass jetzt noch weniger Leute in die Kinos kommen.
Dass der Bundesrat die Schutzkonzepte nicht berücksichtigt hat, missfällt auch dem Schaffhauser SVP-Ständerat Hannes Germann. Er begrüsst zwar, dass die Landesregierung von einem Lockdown abgesehen hat, sagt aber auch: «Die Massnahmen tragen den ausgearbeiteten Schutzkonzepten überhaupt nicht Rechnung. Die Kultur-, Event- und Sportbranchen werden jetzt vorgeführt, obwohl ihre Schutzkonzepte und baulichen Massnahmen funktionierten.» Er fordert, dass die Politik für die Kulturbetriebe zusätzliche Mittel beschliesst und die Härtefallklausel früher als Januar 2021 in Kraft tritt. «Noch früher als Januar wäre ein wichtiges Signal.» Germann hatte sich stark für diese Klausel eingesetzt. Sie sieht vor, dass wer durch die Coronakrise nur eingeschränkt arbeiten kann, staatliche Hilfe erhalten soll. Ein Härtefall liegt dann vor, wenn der Jahresumsatz unter 60 Prozent des mehrjährigen Durchschnitts liegt. «Die Kulturbetriebe sind jetzt besonders stark benachteiligt. Aber neben dem Bund müssen auch die Kantone mitziehen. Sie müssen ein Interesse haben, dass das Kulturleben erhalten bleibt», sagt Germann.
René Gerber von Procinema weiss von einigen Kinobetrieben, die zu kämpfen haben. «Kinobetreiber haben die Massnahmen des Bundesrats als Konkurs auf Raten bezeichnet.» Sie erlauben keinem Betrieb, die laufenden Kosten zu decken. «Wir haben Umsatzeinbussen von 60 bis 70 Prozent pro Woche in einer Zeit, die im Jahr zu den umsatzstärksten gehört und 350'000 Eintritte pro Woche generiert.» 30'000 bis 40'000 Eintritte sind es im Moment; der Einnahmeverlust beträgt ungefähr 90 Millionen Franken.
«Bleiben die Kinos und Theater geschlossen, gehen auch die Leute nicht mehr in die Stadt», sagt Martina Munz, Schaffhauser SP-Nationalrätin. Dann leiden der Detailhandel, die kleinen Geschäfte und die Restaurants. «Wir haben einen Härtefallfonds, der aber nur mit dem Beitrag der Kantone ausbezahlt wird. Einige Kantone haben schon reagiert. Jetzt muss auch der Kanton Schaffhausen schnell handeln.» Dass damit das Gröbste überwunden ist, glaubt Munz noch nicht. «Das nächste halbe Jahr wird schwierig. Ich befürchte, dass die Töpfe noch weiter gefüllt werden müssen, um eine Konkurswelle zu verhindern.»
Kultur zu wenig gewichtig
Bereits im Frühjahr hatte der Schaffhauser Stadtrat beschlossen, dass sämtliche zwölf Leistungsvereinbarungen mit Kulturanbietern ausbezahlt werden, auch wenn die Leistungen nicht erbracht werden können, also die Veranstaltungen beispielsweise wegen Corona abgesagt werden mussten. Das gilt auch für städtische Einmalbeiträge für Einzelprojekte. Daran wird auch weiter festgehalten, sagt Stadtrat Raphaël Rohner, zuständig für Kultur.
Und was sagt der Kanton? Der Bund stellt ihm rund eine Million Franken Unterstützung für Kulturunternehmen zur Verfügung. «Diesen Betrag kann der Kanton verdoppeln», sagt Roland E. Hofer, Kulturbeauftragter des Kantons Schaffhausen. Ein paar Wochen kann es jedoch schon dauern, bis Geld fliessen wird. «Alle Anspruchsberechtigten, die bis zum 20. September ein vollständiges Gesuch einreichten, haben innerhalb von zwei bis drei Monaten nach Eingang mit einer Zwischenverfügung eine Auszahlung bekommen», sagt Hofer. «Ich gehe davon aus, dass Kulturunternehmen, die ein Gesuch gemäss dem neuen Covid-19-Gesetz stellen, mit diesem Zeitrahmen rechnen müssen, bis die Unterstützung ausbezahlt wird.»
SVP-Nationalrat Thomas Hurter ist dagegen, dass darüber hinaus noch mehr Geld fliessen soll. «Der Staat kann nicht alle finanziellen Probleme lösen», sagt er. Ich schliesse deshalb nicht aus, dass gewisse Betriebe schliessen müssen. Umso wichtiger ist es, dass die Kulturbetriebe beim Bundesrat intervenieren und auf ihre Schutzkonzepte pochen.»
Bleibt die Frage, ob die Kulturbranche überhaupt gehört würde. «Die Reaktion auf die Pandemie kann sich nicht nach der Gerechtigkeit orientieren, sondern daran, was am meisten hilft», sagte Martin Eichler, Ökonom bei BAK-Economics, im Radio SRF. Im gesamtwirtschaftlichen Zusammenhang mache die Kultur ein vergleichsweise kleines Gewicht aus. Trotzdem ist es aus soziopolitischen Gründen wichtig, die Leute zu unterstützen und die Betriebe zu erhalten. «Damit wir nach der Pandemie wieder auf die Strukturen zurückgreifen können.»