Nach zwölf Jahren endet die Zeit von FDP-Mann Raphaël Rohner im Schaffhauser Stadtrat. Der 66-Jährige blickt zurück auf Sternstunden und schwierige Momente. Eine Tour an prägende Wirkungsorte – mit Stil, Literatur und feinem Humor.
Mark Liebenberg
Abschied nach zwölf Jahren in der Schaffhauser Stadtregierung: Raphaël Rohner (FDP) in «seiner» Bachturnhalle. Bilder: Roberta Fele
Zur KBA Hard fahren wollte er lieber nicht. Als die «Schaffhauser Nachrichten» dem abtretenden Stadtrat Raphaël Rohner eine Reihe von Fotospots vorschlagen, die mit seinem Wirken zu tun haben, seufzt er bei der Erwähnung des interkommunalen Kehricht- und Kläranlagenverbands leicht auf und schlägt gleich andere Locations vor. «Es war eine schwierige, sehr belastende Zeit damals.»
Zwölf Jahre als Mitglied in der Schaffhauser Stadtregierung – das hinterlässt Spuren. Die Gesundheit: Sie war zuletzt nicht die beste, sagt der Politiker. Jetzt, mit bald 67 Jahren, ist die Zeit reif, loszulassen. Selber Spuren hinterlassen hat Rohner in seinen drei Amtszeiten aber eben auch in der Stadt. «Ich glaube, vieles ist gut gelungen, und ich bin glücklich, dass ich mit meinem Schaffen die Stadt und das Gemeinwesen vorwärtsbringen durfte.»
1. Freier Platz/Schifflände
Drei Orte will er uns zeigen. Der erste ist der sogenannte Freie Platz an der Schifflände. «Es war fast mein erstes Aufwertungsprojekt als Baureferent, und es war damals eine grosse Sache.» Und die ist zudem mit einer hübschen Anekdote verknüpft. Als Rohner und der damalige Stadtplaner die Pläne vor der IG Unterstadt vorstellten, gab es im Saal plötzlich Unruhe. Ein moderner Steinbrunnen wirkte für viele wie die Faust aufs Auge vor den historischen Fassaden von Schweizerhof und der Unterstadt.
«Die Idee kam auf, den Eisernen Brunnen, der bis 1952 auf dem Platz stand, wieder dort aufzubauen.» Das schwere Ding befand sich seit den Fünfzigerjahren im Eigentum der Eisenbibliothek von GF und stand von Moos überwachsen im Garten des Klostergutes Paradies in Schlatt. Die Widerstände waren in der Verwaltung zuerst gross. Viele rümpften die Nase. Doch der Schub, den die Idee in der Stadtbevölkerung entfachte, war grösser – und Rohner fällte eine Entscheidung: Der Eiserne Brunnen kommt zurück!
Rohner hat es möglich gemacht, dass der Eiserne Brunnen wieder auf dem Freien Platz steht – die Stadtplaner rümpften zuerst die Nase.
Tagwacht um 5 Uhr – gegen fünf Kaffees am Vormittag: Zuerst als Bau- dann als Bildungs- und Kulturreferent hinterliess Rohner einige Spuren in der Stadt.
«Überbringer schlechter Nachrichten»: Als Sanierer der hochdefizitären KBA Hard hatte er unpopuläre Entscheide zu fällen – heute zollen ihm auch politische Gegner Respekt dafür.
Der Freisinn müsse sich politisch wieder breiter aufstellen – nach dem Verlust des letzten Stadtratssitzes erst recht, sagt Rohner.
Fast immer in Anzug und Krawatte: Raphael Rohner gilt bei manchen Leuten als der bestgekleidetste Politiker im Kanton.
Dass er Baureferent wird, war zunächst nicht vorgezeichnet. «Überhaupt nicht», sagt Rohner. Als Jurist war er zunächst Gerichtsschreiber, hernach Vormundschaftsinspektor und dann Departementssekretär im Bildungsdepartement des Kantons. Für die Freisinnigen politisierte er zuerst im Stadtschulrat, später im Stadtparlament, lange als Fraktionspräsident. «Die Schule war eigentlich mein angestammtes Fachgebiet», erinnert er sich. Doch im Jahre 2012, als er in den Stadtrat gewählt wurde, war das Bildungsreferat bereits in FDP-Hand. Und man brauchte einen, der nach der Abwahl des SP-Baureferenten einige, wie sich zeigen sollte, Problem-Baustellen im Wortsinn managen konnte.
Die wichtigste: die KBA Hard. Die Stadt war unter Rohners SP-Vorgänger im Amt das Risiko einer neuartigen Prototypanlage eingegangen. Im zweiten Monat, nachdem Rohner das Referat übernommen hatte, waren die Kosten schon länger aus dem Ruder gelaufen. Die Investitionen wurden gestoppt, ein Expertenbericht in Auftrag gegeben. Dieser kam zum Schluss, dass die Anlage nie erfolgreich betrieben werden könne. «Die Sanierung der Anlage nahm sehr viel Zeit und politische Kraft in Anspruch, am Ende schreiben nun die rentablen Teile dank dem jetzigen Leiter wieder schwarze Zahlen.»
Trotzdem: Unter dem Strich setzte die Stadt Schaffhausen mit dem Projekt fast 24 Millionen Franken in den Sand. «Ich hatte unpopuläre Entscheide zu fällen und war in die Rolle eines Überbringers von schlechten Nachrichten geraten. Das hat mir schon zu schaffen gemacht», gesteht Rohner heute.
2. Bachturnhalle
Für viele gar nicht so überraschend kam daher, als der Freisinnige nach den Wahlen 2016 seinen Wunsch durchsetzte, ins städtische Bildungs- und Kulturreferat zu wechseln. Als wohl sichtbarstes Ergebnis seiner achtjährigen Amtszeit führt Rohner die SN zur Bachturnhalle.
Im Spazierschritt geht es durch die Unterstadt – gefühlt jede zweite Person, die entgegenkommt, grüsst den Stadtrat. Er grüsst in seiner weichen, singenden Stimme in perfektem Stadtschaffhauser Lokal-Dialekt zurück, wechselt hier und da ein paar Worte. «In den Ruhestand gehe ich schon ein wenig mit gemischten Gefühlen», räumt er ein – nach 42 Arbeitsjahren. «Aber langweilig wird mir schon nicht werden.»
Dem Guten, Wahren und Schönen zugeneigt war der kulturaffine Rohner von Kindesbeinen an. «Meine französische ‹grand-mère› hatte in mancher Hinsicht eine prägende Wirkung.» Auf der Bachstrasse an diesem kühl-nassen Dezembervormittag kommen wir zufällig an einem parkenden Rolls-Royce aus den Vierzigern vorbei – Rohner bleibt lange bewundernd stehen.
Manche bezeichnen ihn als bestgekleideten Politiker im Kanton – stets mit Anzug und Krawatte. Sogar bei der umstrittenen Bänkli-Zersäge-Aktion im September verzichtete Rohner darauf, in bequemere Kleidung zu schlüpfen, als er die Motorsäge zu bedienen hatte. Fühlt er sich manchmal selber als Oldtimer inmitten von locker gewordenen Kleider- und sonstigen Sitten? «Ich bin da sehr liberal, erwarte von niemandem etwas. Für mich persönlich ist es schlicht eine innere Haltung, die ich mit meiner Kleidung nach aussen trage.»
In Shorts im Kantonsrat aufzukreuzen, wie kürzlich ein Kantonsrat der Jungen Grünen, käme ihm aber nie in den Sinn. «Ich nehme diese Arbeit ernst und halte sie nicht einfach für einen Job. Und ich ziehe es vor, dies durch mein Äusseres auszudrücken.»
In der Bachturnhalle angelangt, die vor drei Jahren zum mittelgrossen Theaterbau umfunktioniert worden ist, strahlt Rohner. «Ich denke, damit haben wir wirklich ein tolles Angebot für Generationen geschaffen. Und er betont den «Private-Public»-Aspekt – die Halle wurde den Kulturschaffenden nicht einfach von der Stadt hingestellt: Ein Verein beteiligte sich, die Stadt natürlich, und die private Windlerstiftung gab einen grosszügigen Beitrag.
Plötzlich hüpft Rohner spitzbübisch auf die Bühne und setzt akzentfrei zu rezitieren an: «Le Chêne un jour dit au Roseau: Vous avez bien sujet d'accuser la Nature; Un Roitelet pour vous est un pesant fardeau…» Den unkundigen Begleitern erklärt Rohner die Fabel von La Fontaine. Diese handelt von einer Eiche und einem Schilfrohr, die sich darum streiten, welcher von ihnen der Stärkere sei. Die Eiche, die zwar dem normalen Wind trotzte, unterlag jedoch dem Schilfrohr, das sich vor demselben beugte. Denn als der Wind stärker wurde, brach die Eiche, wohingegen das Schilfrohr sich nach dem Sturm wieder aufrichten konnte.
In der Bachturnhalle, die als konkretes Projekt aus der 2018 finalisierten Kulturstrategie entstand.
In der Bachturnhalle, die als konkretes Projekt aus der 2018 finalisierten Kulturstrategie entstand.
3. Primarschule Breite
Eine gewisse Elastizität und Bodenhaftung: So lässt sich Rohners Liberalismus vielleicht fassen. «Wie man zu seinem eigenen Hause Sorge trägt, so müssen wir auch zu unserem Gemeinwesen Sorge tragen.» Radikale Ideen und grosse Würfe haben keine Chance, wenn sie nicht aus der Mitte der Gesellschaft getragen werden – das musste der Kulturreferent selbst zuletzt mit den Erneuerungsplänen fürs Museum zu Allerheiligen erfahren.
2016 trat Rohner als letzter Bürgerlicher fürs Stadtpräsidium an – und verlor nur knapp gegen SP-Stadtrat Peter Neukomm. War das eine Niederlage? «Nein, es war ein Achtungserfolg.» Dass es dem Freisinn nun nicht gelang, seinen letzten Sitz im Stadtrat zu verteidigen, findet der Abtretende schade. «Ich habe immer zusammen mit der Fraktion dafür gekämpft, dass wir nicht nur als Autofahrer- und Steuersenkpartei wahrgenommen werden, sondern eben auch als konstruktive, staatstragende Kraft aus der Mitte.»
Nächster Stopp: Schulhaus Breite. Die Schulkinder haben gerade Mittagspause, im lichtdurchfluteten Neubau mit dem Scheddach empfängt Schulleiterin Bettina Maier ihren obersten politischen Vorgesetzten. Ungefragt sagt sie zu den SN: «Wir werden ihn vermissen. Er hatte immer ein offenes Ohr für uns.» Rohner verspricht, sich noch vor dem Schulende vor Weihnachten von den Vorsteherinnen und Vorstehern sowie mit Besuchen in den Bereichen persönlich von allen Mitarbeitenden per Handschlag zu verabschieden. «Das gehört sich so», findet er.
Im Kantonsrat möchte sich Rohner weiterhin auf seinen Kerngebieten einbringen: die Bildungs- und Finanzpolitik. «Im Schulwesen steht die Schaffung kantonaler Rahmenbedingungen für die integrative Schulform an, das wird spannend.» Dass seine Idee eines Langzeitgymnasiums nie zum Fliegen kam. «Ich finde, wir müssten unbedingt auch etwas für die begabten Jugendlichen machen.»
Es müsse ja nicht gerade ein Gymnasium wie anno dazumal sein, obwohl er sich selber durchaus als Bildungsbürger alter Schule versteht. Kurzerhand nimmt er eine Kreide in die Hand und schreibt jene Zeilen auf, die er als Pennäler im Lateinunterricht auswendig lernen musste: Iam super oceanum venit a seniore marito flava pruinoso quae vehit axe diem («Schon kommt über dem Meer von ihrem grämlichen Alten, die den Tag uns bringt, mit den Reifen umhüllt…», aus der XIII. Elegie aus Ovids «Amores»).
Seine «Amore» hat der zum zweiten Mal verheiratete Rohner erst vor vier Jahren in der Professorin für Baugeschichte und Denkmalpflege Sabine Brinitzer gefunden.
Als Pennäler musste er diese Zeilen aus Ovids «Amores» auswendig lernen – seine eigene «Amore» hat Rohner vor vier Jahren gefunden.
In acht Jahren als Bildungsreferent hat Stadtrat Raphaël Rohner viele Pflöcke eingeschlagen, darunter die Schulleitungen, Klassenassistenzen, Frühe Förderung, Tagesstrukturen und Betreuungsgutscheine.
Was die Zukunft bringt
Und nun? Servir et disparaitre? «Nebst dem Kantonsratsmandat möchte ich tatsächlich zunächst einmal etwas kürzertreten. Und mehr lesen.» Goethes Schmöker «Dichtung und Wahrheit» hat er im Sommer gelesen, jetzt möchte er sich den Fontane wieder vornehmen. «Und ich will Klavier spielen lernen», sagt Rohner mit einem schelmischen Grinsen. Als Kind hat er Blockflöte und Querflöte gespielt, aber seither nie die Zeit gefunden, Musik anders als konsumierend als Konzertgänger zu geniessen. «Und ich möchte mein Englisch gerne aufbessern.»
Und noch eine Leidenschaft hat Rohner kürzlich erst entdeckt, wie der FDP-Fraktionspräsident Martin Egger bei der Verabschiedung im Stadtparlament letzten Dienstag verriet: das Golfen. «Beispiele aus den USA zeigen ja, dass man dieses Hobby bis ins hohe Alter betreiben kann», witzelte Egger. Von der FDP-Fraktion gabs darum ein Wochenende in einem nahe gelegenen Golfresort als Geschenk. Auch in der politischen Arbeit lande schliesslich öfters eine Idee oder ein Projekt «neben aussen»: «In der Stadtpolitik hast du manches Mal gezeigt, wie der Ball mit Präzision und Geduld zurück ins Green manövriert werden kann, um ihn danach erfolgreich an der Urne im Loch zu versenken.» Egger verdankte das Wirken dem Magistraten, das geprägt gewesen sei von «Engagement, Weisheit und Humor».